Gesundheitsmanagement beim Kalb

Gesundheitsmanagement beim Kalb
Risikofaktoren: Stallklima, Einstreu und Hygiene
 
In Deutschland kämpfen wir seit Jahren mit durchschnittlich 8-10% Totgeburten und 8-10% Aufzuchtverlusten. Diese Zahlen sind leider über viele Jahre konstant. Natürlich gibt es Betriebe, die deutlich bessere Ergebnisse erzielen. Aber es gibt auch schlechtere Betriebe. Der wirtschaftliche Schaden ist enorm. Die Kosten für tote Kälber werden mit 125-175€ beziffert. Es sind allerdings noch eine Reihe von Folgekosten zu verzeichnen (fehlende Färsen, Totalausfälle oder Minderleistung nach Schwergeburten etc.).
Die Ursachen für Kälberkrankheiten sind vielfältig. Ca. 50% der Verluste sind auf Durchfallerkrankungen zurückzuführen, gefolgt von Lungenentzündungen (ca. 25%). Kälber werden als unreife Organismen geboren. Das heißt sie kommen mit einem unreifen Immunsystem, unzureichender Lungenreife, unzureichendem Energievorrat, unausgereiftem Darm, nicht entwickeltem Vormagensystem und unzureichender Enzymausstattung auf die Welt. Wir müssen über eine optimale Haltung und Fütterung diese Handicaps ausgleichen.
Viele Risikofaktoren nehmen Einfluss auf unsere Kälber. Zum einen ist da die große Zahl an Krankheitserregern zu nennen mit denen sich das Kalb unmittelbar nach der Geburt auseinandersetzen muss. Das unreife Immunsystem schützt hier nur bedingt. Daher ist ein optimales Kolostrummanagement unabdingbar, um das Kalb immunologisch zu schützen. Es geht um Stunden! Eine zweite Chance gibt es nicht!
Weitere wichtige Risikofaktoren sind Fütterung, Stallklima (Zugluft, Kälte- und Hitzestress), Belegungsdichte und -art (Rein/Raus?), Feuchtigkeit/Einstreu und Keimbelastung der Atemluft. All diese Faktoren sind gut zu beeinflussen.
Die meisten Krankheiten sind multifaktoriell, d.h. sie haben nicht nur eine Ursache. Zum Beispiel werden Kälber in gut belüfteten Ställen, mit einer optimalen Tränke versorgt und mit guter, trockener Einstreu deutlich seltener an Lungenentzündungen erkranken. Keine Erkrankung bleibt ohne Folgeschäden im Tier. Im „günstigsten“ Falle gibt es lediglich eine Wachstumsdepression (wirtschaftlicher Schaden über eine Verlängerung der Aufzuchtphase). Im schlimmsten Fall kommt es zu irreversiblen Schäden mit Totalverlust oder deutlichen Leistungseinbußen in der ersten Laktation.
Nahezu alle Risikofaktoren lassen sich durch geeignetes Management oder bauliche Maßnahmen positiv beeinflussen. Der Erfolg einer prophylaktischen Impfung gegen bestimmte Erreger hängt entscheidend auch von den Risikofaktoren auf dem jeweiligen Betrieb ab. Wenn Behandlungen notwendig werden, ist man eigentlich schon zu spät; d.h. es sind schon Schäden im Kalb entstanden.
Am Beispiel der Atemwegserkrankungen wollen wir einige entscheidende Risikofaktoren besprechen und Lösungen aufzeigen.
Von großer Bedeutung ist der Einfluss des Keimgehaltes der Atemluft des Kalbes. Untersuchungen der Univ. of Madison, USA haben ergeben, dass in schlecht belüfteten Kälberställen der Keimgehalt der Luft bei 25 000 – 3 000000 cfu/m³ lag. Zum Vergleich: frische Außenluft 100 – 1000 cfu/m³, Büro 1000 – 2000 cfu/m³, gut ventilierter Kälberstall 10 – 15000 cfu/³ (cfu = koloniebildende Einheit). Ferner konnte die Gruppe um Ken Lordlund eindeutige Zusammenhänge zwischen der Krankheitshäufigkeit von Lungenerkrankungen und des Keimgehaltes der Atemluft darstellen. In der Stallluft werden nicht nur krankmachende Erreger gefunden, doch das Kalb muss sich mit allen Erregern immunologisch auseinandersetzen. Daher stellen hohe Erregerzahlen eine Belastung für die Kälber dar, die viel Energie verlangt. Auch die Belegungsdichte und die Gestaltung der Box (Trennwände) haben Einfluss auf die Keimbelastung der Luft.
Neben der Keimbelastung konnte die gleiche Arbeitsgruppe auch den Effekt der Einstreutiefe auf das Auftreten von Lungenerkrankungen zeigen. Für die Messung der Einstreutiefe wurde der „Nesting score“ herangezogen (1 = Beine der Kälber unbedeckt, 2 = Beine der Kälber teilweise bedeckt, 3 = Beine fast vollständig bedeckt). Kälber die mit dem höchsten Nesting score eigestreut waren und der geringsten Keimbelastung der Atemluft ausgesetzt waren erkrankten deutlich seltener an Lungenentzündungen ( Nesting score 3: 0–30% je nach Keimgehalt, Nesting score 1: 30-60% je nach Keimgehalt).
Es gibt neue Ansätze zur Reduzierung des Keimgehaltes der Atemluft. Herkömmliche Lüftungssysteme scheitern an vielen Tagen des Jahres an mangelnden Windverhältnissen, Temperaturen etc. Die Verhältnisse im Stall sind nie gleich. Klimatische Tagesschwankungen, Einstreufrequenz und die Belegdichte führen zu oft wechselnden Luftverhältnissen im Kälberstall. Allen gemein ist, dass nicht immer genügend Frischluft an das Kalb gelangt. Mittlerweile gibt es eine neue Belüftungstechnik, die mithilfe eines Ventilators, über einen Kunststoffschlauch mit berechneten Löchern, frische Außenluft in den Kälberstall blasen. „Positive pressure tubes“ bringen immer frische Außenluft zugfrei ans Kalb. Sie laufen 365 Tage, 24 Stunden  lang und sind mittlerweile auch in Deutschland erhältlich (www.vetsmarttubes.com). Der Stall muss möglichst exakt vermessen und die Belegungsdichte bestimmt werden. Auf dieser Grundlage wird der nötige Ventilator, die Schlauchgröße, sowie Anzahl, Position und Größe der Löcher berechnet. Auch die Abluft muss in einem solchen System berücksichtigt werden.
Ein weiterer Faktor den Keimdruck im Betrieb zu senken ist definierte Hygienemaßnahmen zu etablieren. Hygiene fängt im Kopf an und verlangt ein  großes Maß an Konsequenz. Mit Ausmisten allein kann keine ausreichende Keimreduktion erreicht werden. Erst die gründliche Reinigung bringt eine deutliche Verminderung an Keimen. Die abschließende Desinfektion, abgestimmt auf die Problemerreger des Betriebes schafft eine effektive Erregerreduktion. Alle Stallbereiche und Ausrüstungsgegenstände, die Kontakt mit den Kälbern haben müssen nach einem Hygieneplan bearbeitet werden. Die Wahl des Desinfektionsmittels richtet sich nach dem Erregerspektrum des Betriebes (vorherige Diagnostik!) und ist nach DVG-Liste zu ermitteln. Des Weiteren sollten auch weitere Anstrengungen zur Biosicherheit des Betriebes gemacht werden. Die Biosicherheit soll die Einschleppung von Krankheitserregern in den Bestand verhindern und die Weiterverbreitung derselben innerhalb des Bestandes unterbinden. Dazu gehören Beschränkungen, sowie Verhaltensregeln für betriebsfremde Personen (Schutzkleidung, Hygieneschleuse), Regelung des Fahrzeug- und Viehverkehrs (Viehhändler) etc..
Anregungen zur Biosicherheit findet man im Leitfaden für Biosicherheit in Rinderbeständen der Tierärztekammer Niedersachsen (www.tknds.de).
Der Erfolg von Impf- und Behandlungsmaßnahmen hängt maßgeblich von den oben genannten Faktoren ab. Es lohnt sich enorm in die Beseitigung von Risikofaktoren zu investieren. Lassen sie sich beraten! Die Tierarztpraxis Ottersberg steht hierfür gern zu Verfügung, um neue Konzepte mit Ihnen zu erarbeiten. Ziel ist: weniger Behandlungen, mehr gesündere, wachstumsfrohe Kälber, weniger Aufzuchtverluste!